Start | Selbstdarstellung | Texte | Geschichte | Links | Bestände

"Wir wollen alles"

Quellen der Neuen Linken und Neuen Sozialen Bewegungen in Hamburg

von Knud Andresen

aus: Auskunft. Hamburger - Mitteilungsblatt der Hamburger Bibliotheken, Heft 1/2000

Die Geschichte der Bundesrepublik zu schreiben ist eine Herausforderung für die Zeitgeschichte geworden. Ein bedeutendes Moment in dieser Geschichte sind die linken und neuen sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre. Diese Gruppen waren in Folge der Studentenrebellion Ende der sechziger Jahre – im kollektiven Gedächtnis zumeist auf das Jahr 1968 verengt – entstanden und beeinflußten die wissenschaftlichen, kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Diskurse erheblich. (1) Diese Entwicklung war aber von einer starken politischen Konfrontation geprägt, die sich mit den Schlagworten "Terrorismus" und "Radikalenerlaß" beschreiben läßt. Aus der zeitlichen Distanz, aber vor allem auch durch die Wiedervereinigung haben sich diese politischen Koordinaten erheblich verschoben. Die persönliche Geschichte vieler heute an der Regierung beteiligter Grüner ist hierfür eindrucksvoller Nachweis.

Wie kann nun aber die Geschichte der Linken geschrieben werden? "Die Archive sind offen" postuliert Ingrid Gilcher-Holtey programmatisch im Vorwort eines neuen Sammelbandes über 1968, in welchem der Wandel von einem Ereignis zu einem Gegenstand der Zeitgeschichte angenommen wird.(2) Sie meint, anhand der in staatlichen Archiven nun zugänglichen Quellen sei eine wissenschaftliche und zeitgeschichtliche Beschäftigung möglich, die über apologetische oder diffamierende Darstellungen hinausgehen würde. Dieser etwas optimistische Befund muß jedoch mit der Frage konfrontiert werden, welche Archive denn nun geöffnet seien und welche Materialien man dort findet. Um die Geschichte der Neuen Linken und auch der Neuen Sozialen Bewegungen (3) nachzuzeichnen, muß man auf Originalquellen zurückgreifen können. In diesem Artikel sollen zwei nichtstaatliche Hamburger Einrichtungen vorgestellt werden, in denen solche Quellen aufgearbeitet und zugänglich sind: Das Archiv der Sozialen Bewegungen Hamburg und das Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung, hier besonders die Sondersammlung Protest, Widerstand und Utopie in der BRD. Zu Beginn stehen ein kurzer Überblick über neuere Literatur zum Thema, Quellen der Neuen Linken und Neuen Sozialen Bewegungen in staatlichen Einrichtungen und einige allgemeine Überlegungen zu den nichtstaatlichen Archiven.

Im historischen Bewußtsein ist das Jahr 1968 als Zäsur der Geschichte der Bundesrepublik weitgehend anerkannt. Allerdings habe die zeitliche Nähe eine exakte Bestimmung von Ursache und Folgen noch verhindert, wie der Zeithistoriker Martin Broszat 1990 schrieb.(4) Die zeitlichen und vor allem politischen Verschiebungen seit dieser Feststellung ermöglichen sicherlich unbefangenere Fragen.(5) Zumindest ein Teil der Forschung weist der Außerparlamentarischen Opposition und der Neuen Linken einen positiven Einfluß auf die Gesellschaftsentwicklung zu. Heinz Bude bezeichnete die Vorgänge in ihrer Wirkung – die im Gegensatz zu den erklärten Zielen der Beteiligten stehen können - als "Fundamentalliberalisierung" der Bundesrepublik (6), da sich über die Neue Linke eine Verwestlichung der politischen Kultur der Bundesrepublik eingestellt habe. Dagegen steht die eher konservativ geprägte Kritik, daß die ideologische Verhärtung der Neuen Linken zu einer Polarisierung der Gesellschaft führte und so Reformtendenzen behinderte.(7) Zugespitzt wird diese These auch von einigen ehemaligen Beteiligten vorgetragen, so 1998 von dem einstigen Rechtsanwalt der APO und RAF-Mitglied Horst Mahler, der inzwischen die Linke für die Zerstörung der traditionellen religiösen und sittlichen Werte und Bindungen verantwortlich macht. (8)

Doch nicht allein diese Deutungen bestimmen die Rezeption in der Öffentlichkeit. Dem an historischen Jahreszahlen orientierten kollektiven Gedächtnis entsprechend brachte das Jahr 1998 eine bunte Vielzahl von Veröffentlichungen zum Thema. Besonders bemerkenswert ist der Anstieg von Autobiographien ehemaliger Beteiligter. Diese reichen von dem Aktivisten der Kommune I, Dieter Kunzelmann, über Angehörige der Bewegung 2. Juni bis hin zum Berliner Polizeipräsidenten. Aus ihnen läßt sich ein subjektiv erinnertes, häufig allerdings auch verklärtes und um Rechtfertigung bemühtes Bild gewinnen.(9) Oskar Negt, einer der "Mentoren" der Studentenbewegung, hat eine theoretisch-reflexive Arbeit vorgelegt, in der es ihm darum geht auszuloten, welche politischen und gesellschaftstheoretischen Ideen und Ansätze der Linken weiterwirken.(10) Gleichfalls sind in den letzten Jahren auch Quellensammlungen erschienen, zumeist ergänzt mit Interviews und Aufsätzen unterschiedlichster Qualität.(11) Eine weitere Textgruppe bilden zeitgeschichtliche und politikwissenschaftliche Arbeiten. Neben einigen älteren Überblicksarbeiten (12) gibt es aus der letzten Zeit auch eine Reihe von Studien zu einzelnen Fragestellungen, die sich meist durch eine intensive Quellenbearbeitung auszeichnen. (13) Gerade bei diesen Werken wird die Frage nach der Quellenbasis interessant. Zumeist werden Privatarchive genutzt oder auf Interviews mit Zeitzeugen zurückgegriffen. Diese Methoden sind jedoch begrenzt. Petra Heine und Jürgen Bacia fragen daher: "Wenn in 10 oder 20 Jahren andere Wissenschaftler andere Fragen an die Geschichte der neuen sozialen Bewegungen stellen wollen, wo werden sie ihre Quellen finden?" (14)

Bacia und Heine charakterisieren die Dokumente und Quellen der Neuen Linken und der Sozialen Bewegungen als Ausdruck einer "Geschichte von unten", da sich die Akteure nicht in institutionalisierten Bahnen bewegen würden. Trotz oder gerade wegen dieser Distanz zu etablierten Institutionen sind diese Quellen für einen umfassenden Blick auf die Geschichte notwendig. Aus ihnen könnten Einblicke in gesellschaftsverändernde Prozesse gewonnen werden, da die linken und sozialen Bewegungen eine "seismographische Funktion" gehabt hätten. (15) Die in diesen Gruppen angesprochenen Themen haben mit einiger Verzögerung oft eine tiefe gesellschaftliche Wirkung gehabt. Dies läßt sich an den bekannten Beispielen der Ökologie- und Frauenbewegung nachweisen, aber auch in regionalgeschichtlicher Hinsicht wäre hier noch vieles zu bearbeiten. Die Vielzahl von Stadtteilzeitungen und kleinen Kampagnenschriften geben Aufschluß über lokales Engagement gegen Großbauprojekte oder Veränderungen zum Beispiel in Hamburger Stadtteilen. Wenn auch viele der Ziele – zumeist handelte es sich um Verhinderungen von Projekten - scheiterten, sind sie doch Ausdruck einer möglichen alternativen Entwicklung, nach der die Geschichte befragt werden sollte. Als herrschafts- und gesellschaftskritische Perspektive belegen sie eine andere, nicht verwirklichte Entwicklung und damit auch die Chancen und Grenzen von Handlungsspielräumen.

Die Relevanz, die Materialien zu sichern, ist offenkundig. Doch hier beginnen bereits die Probleme. Die Dokumente und Materialien der Neuen Linken und der Neuen Sozialen Bewegungen werden – wie überhaupt alle Erzeugnisse von nichtstaatlichen, privaten Organisationen, Gruppen und Bewegungen – nicht automatisch von staatlichen Archiven erfaßt. Begibt man sich in Hamburg auf die Suche, wären die ersten Adressen die Hamburger Staats- und Universitätsbliothek und das Staatsarchiv. In der Hamburger Staatsbibliothek findet sich – obwohl Pflichtabgabestelle für Hamburger Publikationen – nur eine gewisse Auswahl von Veröffentlichungen, so zum Beispiel der vom Kommunistischen Bund herausgegebene "Arbeiterkampf". Die Mehrzahl der "grauen Literatur" von Broschüren und kleinen Zeitschriften ist dort nicht aufbewahrt. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen bestand und besteht in der Linken eine erhebliche Skepsis gegenüber staatlichen Einrichtungen, so daß bereits die Staatsbibliothek unter das Verdikt "staatstragend" fällt und eine Ablieferung Unbehagen bereitet. Zum anderen sind die Publikationen oft nur in kleiner Auflage und kurze Zeit erschienen. Erstellt von nicht-professionellen Redaktionen, orientierten sich die Redakteure nicht an den üblichen Mechanismen des Zeitschriftenmarktes – so häufig eine konspirative Produktionsweise und nicht gewinnorientiert – und wußten meist von der Existenz einer Pflichtabgabestelle nichts. Wenn die Staatsbibliothek auf Zeitschriften aufmerksam wurde, waren sie oft schon wieder eingestellt oder die Anfragen wurden – politisch begründet – einfach ignoriert.

Im Hamburger Staatsarchiv finden sich Materialien zur Geschichte der Neuen Linken und sozialer Bewegungen an einigen Stellen. Die Bestände der Universität, besonders die des Allgemeinen Studentenausschusses (ASTA) sowie die Flugblatt- und Plakatsammlung der Plankammer sind Ansatzpunkte.(16) Am aufschlußreichsten sind aber vermutlich die Bestände des Verfassungsschutzes und der Staatsschutzpolizei, da über den Umweg der staatlichen Überwachung und Kontrolle eine Reihe von Originaldokumenten in den Besitz des Staatsarchivs gelangen sowie Einschätzungen und Spitzelberichte über linke Gruppen. (17) Nach Auskunft des zuständigen Bearbeiters Lorenzen-Schmidt sind für die Verfassungschutzunterlagen bereits einige als Sachakten angelegt, die mit Ablauf der 30jährigen Sperrfrist zugänglich werden. Aber hier – und noch ausgeprägter bei den Staatsschutzakten – sind Akten häufig personenbezogen zusammengestellt worden und unterliegen einer längeren Sperrfrist. Hinzu kommen bei dieser Archivgutgruppe Geheimhaltungsvorschriften, welche die Sperrfrist für einzelne Unterlagen auf 60 Jahre verlängern. (18) Die Fragen an diese Aktengruppe werden sich sicherlich auch oft darauf beziehen, mit welchem Blick die staatlichen Überwachungsorgane an opponierende Gruppen herangegangen sind.

Die Sicherung der vielfältigen Dokumente und Quellen der sozialen Bewegungen haben in den letzten Jahren oft "freie Archive" (19) übernommen. Die Ursprünge dieser Einrichtungen liegen in den Bemühungen um Selbstreflexion der Bewegungen selber. Die "Kommune 1" richtete gleich zu Beginn ihrer Existenz ein Pressearchiv ein, um ihren medialen Widerhall dokumentieren zu können. Aber erst in den 80er Jahren setzte die Gründung von freien Archiven ein, die ihre Aufgabe nicht als Selbstbespiegelung begriffen. Zumeist entstanden aus der aktiven politischen Arbeit, sollten in ihnen nicht nur Dokumentationen zu einzelnen Themen erfolgen, sondern das gesamte Spektrum der Aktivitäten linker und sozialer Bewegungen dokumentiert werden und auch über längere Zeit gesichert bleiben. Das größte dieser freien Archive ist das ID-Archiv in Amsterdam. Es entstand aus dem Redaktionsarchiv der Frankfurter Zeitschrift Informationsdienst zur Verbreitung unterdrückter Nachrichten und zog Mitte der 80er Jahre nach Amsterdam um, wo es in das Internationale Institut für Sozialgeschichte integriert wurde. (20) Der Sammelschwerpunkt lag zuerst auf der Autonomen- und Spontibewegung, ist aber im Laufe der Jahre ausgeweitet worden. Dies gilt auch für das Archiv Papiertiger in Berlin. Seit den achtziger Jahren bestehen auch das Archiv soziale Bewegungen Baden in Freiburg (21) und das Dortmunder Archiv für alternatives Schrifttum in NRW (22) mit einem stärker regionalen Bezug. An die Universität angebunden ist das bereits seit den siebziger Jahren arbeitende APO-Archiv an der Berliner Freien Universität, mit Sammelschwerpunkt zu Studentenbewegung und K-Gruppen.

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von freien Archiven, die einzelne Themenbereiche dokumentieren. In Hamburg sind dies zum Beispiel für die Frauenbewegung das Zentrum Denk(t)räume oder das ArchivAktiv für die Friedensbewegung. (23)

Die Arbeit der freien Archive war und ist immer von dem Spannungsfeld geprägt, einerseits Teil der Bewegungen zu sein, aus dem sich eine Akzeptanz zur Überlassung von Materialien aus der politisch aktiven Bewegung ergibt und eine partielle inhaltliche Nähe zu den archivierten Schriften, andererseits eine umfassende Sammeltätigkeit zu entfalten, die sich nicht an politisch engen Vorgaben orientiert und einen umfassenden Blick auf die Aktivitäten von sozialen Bewegungen anstrebt. Dies korrespondiert auch mit der in der Regel durch freiwilliges Engagement getragenen Arbeit, die nur in seltenen Fällen durch ABM-Arbeitsplätze oder Projektzuschüsse bezahlt werden. Die Finanzierung erfolgt bei den freien Archiven oft nur über Spenden oder projektbezogene Zuschüsse, so daß die Frage nach der langfristigen Trägerschaft immer wieder aufs neue aufgeworfen wird.

Trotz der finanziellen Mängel sind über diese Einrichtungen die Publikationen und Dokumente von linken und sozialen Bewegungen bundesweit gut erfaßt. In der Regel unter archivalischen Gesichtspunkten aufgearbeitet, bilden die freien Archive einen wichtigen Faktor für Forschung und öffentliches Interesse.

Mitten im Zentrum: Das Archiv der Sozialen Bewegungen Hamburg

Das Archiv der Sozialen Bewegungen Hamburg ist 1989 aus einer privaten Initiative gegründet worden. Ziel war, die Vielfalt der linken sozialen Bewegungen zu dokumentieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In den Gründungsaufrufen wird als Motiv die aktive politische Arbeit genannt: es sollte "Gegenöffentlichkeit" geschaffen und so dem Verlust von linker Geschichte entgegengewirkt werden. Neben diesem politisch ambitionierten Ansatz wurde auch auf die Erfahrung verwiesen, daß Diskussionen, Ereignisse und Erfahrungen in der linken Bewegung beständig verloren gingen. Dies Phänomen des kurzen Gedächtnis in den Bewegungen selber liegt an der ständig gleichbleibenden Altersstruktur. Ältere Aktive geben ihre Erfahrungen nicht weiter; die Materialien werden selten aufgehoben. Hier kommt noch hinzu, daß die schriftlichen Zeugnisse der linken und sozialen Bewegungen zumeist im politischen Handgemenge produziert werden und schnell wieder in Vergessenheit geraten – sicherlich auch, weil es manchem Autor später peinlich ist, was für ein "flugblattgerechtes Denken" goutiert wurde.

Diesem Problem wollte das Archiv der Sozialen Bewegungen durch eine zentrale Sammlung entgegengewirken. Inspirierend für die Gründung waren die oben erwähnten freien Archive, zu denen Kontakte bestehen. Zwar verstand und versteht sich das Archiv der Sozialen Bewegungen als Teil der linken Bewegungen, und der Gründungsimpetus bestand wesentlich in der Schaffung einer Einrichtung für politisch Aktive. Der Namenspartikel "der" sollte diese Verbundenheit demonstrieren. Andererseits war es von Anbeginn Grundsatz, alle Materialien aufzunehmen, die im weitesten Sinne als Produkte der linken und sozialen Bewegungen zu verstehen sind. Eine politisch motivierte Auswahl des Materials wurde und wird daher nicht getroffen.

Zehn Jahre später hat sich der Aspekt einer allgemeinen Sicherung linker Quellen noch verstärkt. Dies bedingte sich auch durch eine Verschiebung der Personenkreise, die das Archiv nutzen. Die Zahl der Studierenden und Interessierten, die politologische oder zeitgeschichtliche Arbeiten zu einzelnen Aspekten der linken und sozialen Bewegungen schreiben, hat erheblich zugenommen; ebenso kommen häufig SchülerInnen, die Material über für sie schon lange zurückliegende Zeiten suchen. Dies ist sicherlich ein weiterer Hinweis auf eine gewisse "Historisierung" der neuen sozialen Bewegungen.

Dennoch ist das Archiv der Sozialen Bewegungen weiterhin den politisch aktiven Gruppen verbunden. Nachdem die ersten Räume verlassen werden mußten, zog das Archiv 1992 in das besetzte Stadtteilkulturzentrum ‚Rote Flora‘ im Schanzenviertel. Dort befindet sich auch heute wieder das Domizil, nachdem ein Brand 1995 das erste Stockwerk und damit das Archiv der Sozialen Bewegungen zerstört hatte. Für drei Jahre wurden Übergangsräume genutzt, um den Bestand wieder aufzubauen. Der im Oktober 1998 erfolgte Umzug in die renovierten Räume wurde schließlich zu einem eigenen Ereignis: Als "Paper-Move" betitelt wurde eine Menschenkette organisiert, mit der die über tausend Archivboxen quer durch das Schanzenviertel getragen wurden. Die Unterstützung durch 200 Personen hierbei zeigt die Bindung, die das Archiv in der Szene hat. (24)

Das Archiv der Sozialen Bewegungen hat gewissermaßen eine Doppelfunktion: Zum einen ist es Teil einer linken Diskussionsstruktur, so daß auch aktuelle Debatten dokumentiert werden. Zum anderen ermöglicht es eine Aufarbeitung der linken Geschichte seit 1968 in größeren Projekten, sei es im universitären oder politischen Zusammenhang.

Das Archiv der Sozialen Bewegungen finanziert seine Arbeit vollständig über Spenden. Aus Gründen der politischen Unabhängigkeit gibt es bisher auch keine bezahlten Stellen oder Finanzierung aus staatlichen Quellen. Zu Zeit arbeiten 8 Personen im Archiv. Die Trägerschaft ist seit 1998 über einen Verein organisiert.

Seit 1992 arbeitet das Archiv der Sozialen Bewegungen mit dem FotoArchivKollektiv zusammen. Das FotoArchivKollektiv ist als ein Zusammenschluß von freien Fotografen 1991 entstanden, die auf Aktionen und Demonstrationen fotografieren und dieses Material – schwerpunktmäßig seit 1987 – archivieren und für eine nichtkommerzielle Nutzung bereitstellen. Inzwischen werden auch Fotos anderer FotografInnen archiviert. Genutzt wird der Bestand hauptsächlich zur Illustration linker Publikationen, aber auch für Plakate und Ausstellungen. Darüber hinaus hat das FotoArchivKollektiv selbst verschiedene Ausstellungen organisiert. Erfaßt werden die Bilder anhand von 16 Themenfeldern, zum Beispiel Hausbesetzungen, Antirassismus oder Stadtentwicklung.

Der anfängliche Bestand des Archivs der Sozialen Bewegungen war 1989 aus einigen Privatarchiven gebildet worden. Durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Hamburger Buch- und Infoladen Schwarzmarkt war auch die Dokumentation aktueller Publikationen der Linken gewährleistet. Bis zum Brand war der Bestand umfangreich angewachsen und umfaßte neben Zeitschriften und Broschüren auch Flugblätter, Zeitungsausschnittssammlungen zu einzelnen Bereichen und Plakate. Dieser Bestand wurde durch den Brand fast vollständig zerstört, nur einige wenige ältere Zeitschriften und Originalmaterial konnten gerettet und gesichert werden.

Trotz des nahezu totalen Bestandsverlustes gelang es innerhalb kurzer Zeit, das Archiv wieder aufzubauen. Durch die Übernahme der Bestände eines aufgelösten Infoladens, der regelmäßig eintreffenden Zeitungen und vor allem der hohen Spendenbereitschaft von Einzelpersonen ist heute mehr Material als vor dem Brand vorhanden. Der Umfang der Archivalien beträgt gegenwärtig ca. 250 laufende Regalmeter.

Woraus bestehen nun die Archivmaterialien? Der bereits erwähnte weitgefaßte Sammelbegriff ermöglicht eine systematische Einarbeitung allen Materials, das die linken und sozialen Bewegungen produziert haben. Es existiert keine geographische Beschränkung, wenn auch aufgrund der Herkunft durch private Spenden und der Lage Materialien aus dem Hamburger Raum erheblich dichter vorhanden sind als aus anderen Städten oder Ländern. Der Sammelzeitraum ist nicht auf die Zeit nach 1968 beschränkt, aufgenommen werden auch Materialien von sozialen Bewegungen nach 1945, allerdings sind Dokumente zum Beispiel der Ostermärsche oder der Subversiven Aktion noch eher selten. Der Schwerpunkt des vorhandenen Materials liegt auf autonomen und antiimperialistischen Gruppen mit den Tätigkeitsfeldern Antirasismus, Hausbesetzungen in Hamburg – die Geschichte der Hamburger Hafenstraße und der Roten Flora ist umfangreich dokumentiert -, politische Gefangene und Anti-AKW-Aktionen. Hier ergeben sich jedoch ständig Verschiebungen, da die Struktur des Archivs auf Erweiterung und Zuwachs ausgerichtet ist. Eine inhaltliche Grenze besteht gegenüber der Überlieferung von Parteien. Das Material ist insofern von Interesse, wenn es im Austausch oder Zusammenhang mit Neuen Sozialen Bewegungen oder einzelnen Fragen steht. Die Geschichte der Parteien wird jedoch in der Regel nicht erfaßt.

Der Bestand des Archivs ist durch 33 systematische Punkte strukturiert. Unter Oberbegriffen wie Antirassismus, Stadtteilentwicklung/Häuserkampf, Anti-AKW-Bewegung, Gen- und Bevölkerungspolitik, Internationalismus oder Schwulenbewegung ist das Material den Interessierten zugänglich. Für einige Punkte besteht bereits eine ausgearbeitete Feindifferenzierung, die sich an spezifischen Diskussionssträngen oder Ereignissen orientiert. Aufgrund der Materialherkunft aus ganz unterschiedlichen Quellen, die in der Regel nach einer oft kaum noch nachvollziehbaren Systematik sortiert oder gänzlich ungeordnet sind, sowie der Fragestellung der meisten Benutzer wird das Material nach dem Inhalt aufgearbeitet und nicht, wie in vielen anderen Archiven üblich, nach dem Herkunftsprinzip. Da die meisten Benutzer bestimmte Diskussionen nachvollziehen wollen oder nach spezifischen Ereignissen fragen, wäre eine Aufarbeitung nach dem reinen Herkunftsprinzip dysfunktional. Hinzu kommt die Vielzahl der kleinen und kurzlebigen Gruppen in den neuen sozialen Bewegungen, die eine solche Einteilung gänzlich unübersichtlich machen würde. Bei der Aufarbeitung wie bei der späteren Nutzung muß also immer berücksichtigt werden, wie die Fragen an das Material sein könnten.

Den größten Umfang des Bestandes bilden Zeitschriften. Nachgewiesen sind fast 2000 Titel, ca. 170 aktuelle Zeitschriften und Zeitungen werden im Freiabonnement geführt. Das Spektrum reicht von der Internationalen Wissenschaftlichen Korrespondenz zur Geschichte der Arbeiterbewegung über Dritte-Welt-Zeitschriften bis zum Berliner Informationsblatt Interim oder der Frankfurter Sponti-Zeitung Wir wollen alles, die Anfang der siebziger Jahre erschien. Auch die in Hamburg ansonsten nicht nachgewiesene Tageszeitung Junge Welt oder die kritische Medizinerzeitschrift Dr. med. Mabuse werden archiviert. Aus Hamburg befinden sich eine Vielzahl von Stadtteilzeitungen oder Bewegungsblättern wie Hungrige Herzen, Sabot, Große Freiheit oder Ohm. Aber auch diverse Hamburger Schülerzeitungen gehören zum Bestand.

Durch den Neuaufbau nach 1995 hat sich der zeitliche Schwerpunkt des vorhandenen Materials etwas verschoben. Der überwiegende Teil besteht nun aus Schriften der achtziger und neunziger Jahre, während für die siebziger und sechziger Jahre noch größere Lücken existieren. Bisher sind hier vor allem Zeitschriften und Broschüren aufgenommen.

Der Archivbestand umfaßt in der Hauptsache Stadtzeitungen, Zeitschriften, Broschüren, interne Diskussionspapiere, Flugblätter und Plakate. Hierbei handelt es sich vorrangig um Material, das gedruckt oder kopiert veröffentlicht wurde. Schriftwechsel und Organisationsunterlagen sind kaum vorhanden. Dies ist eine allgemeine Problematik bei der Sicherung von Quellen der linken und sozialen Bewegungen. Zum einen arbeiteten viele Gruppen und Initiativen ohne größere Verwaltung, zum anderen sind Organisationsunterlagen – oft aus Angst vor staatlicher Repression - vernichtet oder nicht systematisch angelegt worden. Eine signifikante Ausnahme bilden hierbei die K-Gruppen der 70er Jahre, die einen umfangreichen Organisationsapparat aufbauten. Die als Einzelbestand geführten Unterlagen eines Hamburger Rechtsanwaltsbüros, das der Berliner KPD/AO nahestand, belegen dies. Hier finden sich zum Beispiel Berichte eines bei Amnesty International eingetretenen Parteimitgliedes an die Leitung von 1978, dessen Aufgabe es war, die Politik von Amnesty International subversiv zu beeinflussen und Mitarbeiter der Organisation dazu zu bewegen, sich auch zu Fragen der Bundesrepublik politisch zu äußern.

Der Zugang zum Archivmaterial ist nur über telefonische oder schriftliche Anfragen oder einen persönlichen Besuch möglich, da keine veröffentlichten Bestandsverzeichnisse existieren. Die Zeitschriften sind vollständig über einen Zettelkatalog erfaßt. Sie bilden gewissermaßen das erste Segment des Archivs. Als zweites Segment werden Broschüren zu den Systematikpunkten gesammelt. Sie bieten oft einen ersten Zugang zu Themen, da sie häufig Pressedokumentationen, Chronologien und reflektierende Betrachtungen enthalten, so bei den diversen Broschüren über die Demonstrationen und Aktionen gegen das Kernkraftwerk Brokdorf seit 1976. Das dritte Segment des Archivs sind Flugblätter und Zeitungsausschnittssammlungen. Hier ist der irreparable Verlust durch den Brand am stärksten. Aus arbeitsökonomischen Gründen wird im Archiv heute keine systematische Auswertung von Tageszeitungen mehr vorgenommen, die Zeitungsausschnittssammlungen können also nur sehr lückenhaft über Materialspenden ergänzt werden. Die vor dem Brand aufgebaute systematische Ordnung der Flugblätter, Diskussionspapiere und Zeitungsartikel wiederherzustellen wird vermutlich noch einige Zeit dauern.

Über die genannten Bestände hinaus werden Plakate aufbewahrt. Mittlerweile sind es bereits wieder über 1000 Exemplare. Sie können - entgegen der sonstigen Regelung, daß Archivmaterialien nicht ausleihbar sind und vor Ort eingesehen oder kopiert werden müssen - für Ausstellungen oder ähnliches unter bestimmten Voraussetzungen ausgeliehen werden. Außerdem existieren kleine Postkarten-, Anstecker- und Aufklebersammlungen.

Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Bewegung: Das Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung

Geschichte, Konzeption und finanzielle Ressourcen des zweiten hier vorzustellenden Archivs unterscheiden sich erheblich von den freien Archiven. Das Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung ist 1988 unter dem Namen Archiv Protest, Widerstand und Utopie in der BRD eingerichtet worden. Ziel war es, die Vielfalt der Zeugnisse von Protestbewegungen in der Bundesrepublik zu dokumentieren, um so auf "historiographisch-gesichertem Terrain" Aussagen über die Protestbewegungen und ihren Einfluß auf die Gesellschaft treffen zu können. Die Einrichtung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit dem von Wolfgang Kraushaar geleiteten, ebenfalls am Hamburger Institut für Sozialforschung ansässigen, Forschungs- und Dokumentationsprojekt Protest Chronik, darf aber nicht als das Archiv der Protestchronik mißverstanden werden. Kraushaar hat 1996 die umfangreichen Ergebnisse zu Protesten in den 50er Jahren vorgelegt (25). Das Projekt wird am Institut fortgeführt, um die Protestbewegungen der nächsten Jahrzehnte zu erschließen.

Das Archiv versteht sich nicht als Teil einer politischen Bewegung, sondern als Ort zur wissenschaftlichen Reflexion. Öffentlich zugänglich wurde das Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung im Januar 1991. Der Leiter, Reinhart Schwarz, erklärte, daß die Archivare nicht als "Politberater" für die alternative Szene gesehen werden wollen.(26) Die Änderung des Namens hängt mit einer Aufgabenerweiterung in den neunziger Jahren zusammen. Das Archiv Protest, Widerstand und Utopie in der BRD bildet heute eine umfangreiche Sondersammlung im Archiv, zu dessen Aufgaben heute auch die Betreuung der Unterlagen von einzelnen Forschungsprojekten des Instituts gehört, die über die Geschichte von Protestbewegungen in der Bundesrepublik hinausreichen. Vor allem ist es Material zum Nationalsozialismus und zur Nachkriegszeit, darunter finden sich häufig Kopien von Originalen aus anderen Archiven. Des weiteren übernimmt das Archiv im Hamburger Institut für Sozialforschung die Presseauswertung zu Aktivitäten des Instituts, so über die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944, die seit 1995 immer wieder zu öffentlichen Kontroversen an den Ausstellungsorten führte.

Das Archiv ist räumlich und inhaltlich eng mit der Bibliothek des Hamburger Instituts für Sozialforschung verbunden. Der Bücherbestand zu Neuen Sozialen Bewegungen/Protestbewegungen ist der Systematik des Archivs angeglichen und kann so einfacher genutzt werden. Die Präsenzbibliothek umfaßt ca. 17.000 Medieneinheiten. Es wird sich bemüht, gerade schwer zu beschaffende Literatur zu erhalten. So finden sich auch manche ungedruckte Magisterarbeiten im Bestand, die sich mit Protestbewegungen befassen.

Neben der anders gelagerten Konzeption ist die Anbindung an ein finanziell gesichertes und zu unterschiedlichen soziologischen und zeitgeschichtlichen Themenbereichen arbeitendes Institut sicherlich der signifikanteste Unterschied zu den freien Archiven, die sich zumeist mit Spenden und ABM-MitarbeiterInnen über Wasser zu halten versuchen. Im Archiv sind zwei Arbeitsplätze eingerichtet, hinzu kommen noch projektbezogene Stellen.

Aufgrund dieser besonderen Bedingungen reichen die Bestände dieses an sich jungen Archivs zeitlich erheblich weiter zurück als die des Archiv der Sozialen Bewegungen. Dies liegt zum einen an den finanziellen Ressourcen, die zum Beispiel den Ankauf von Beständen und Nachlässen ermöglichen. Das Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung bildet aber auch eine besondere Schnittstelle zwischen den von politisch Aktiven getragenen Einrichtungen und institutionalisierten Archiven. Das Archiv ist über die politische Bewegung hinaus bekannt und akzeptiert und es besitzt eine wissenschaftliche Reputation, die sich in der Arbeit des Hamburger Instituts für Sozialforschung und des Archivs selber begründet. So hat 1998 das Lüneburger Landgericht dem Archiv Material zukommen lassen. Die beschlagnahmten Asservate im sogenannten Antifa-M-Prozeß gegen eine antifaschistische Gruppe aus Göttingen wurden nach Verfahrensende – auf Antrag der Verteidigung – dem Archiv zur Aufbewahrung überantwortet. Zur Sicherung von Quellen und Dokumenten der linken und sozialen Bewegungen ist es ein großer Vorteil, daß das Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung nicht allein auf private Spenden angewiesen ist. Die Bestände der Sondersammlung Protest, Widerstand und Utopie in der Bundesrepublik umfassen heute ca. 760 laufende Regalmeter, die des gesamten Archivs 910. Die Aufnahmekapazität ist 1997 auf 1150 laufende Regalmeter erweitert worden.

Die Aufarbeitung erfolgt in einer Mischform von Pertinenz- und Provenienzprinzip. Es existiert eine allgemeine Systematik, mit der verschiedene Bereiche und Spektren der sozialen Bewegungen erfaßt werden. Dieser Systematik werden einzelne Flugblätter oder Kleinsammlungen zugeordnet. Größere Sammlungen und Nachlässe werden zusammen gelassen und sind über Findbücher erschlossen. Mithilfe einer selbstentwickelten Systematik erfolgt die EDV-Erschließung, die bisher aber nur für die Bücher der Bibliothek und die Zeitschriften abgeschlossen ist. Die Programme können von Besuchern selbst genutzt werden.

Die Sammelfeld der Sondersammlung Protest, Widerstand und Utopie in der BRD soll möglichst umfassend die Protestbewegungen in der Bundesrepublik dokumentieren und ist daher weder regional noch inhaltlich beschränkt.

Auch hier ist ein Schwerpunkt die Sammlung von Zeitschriften und Zeitungen. Die wesentlichen Publikationen der Neuen Linken und der Neuen Sozialen Bewegungen sind, zumeist komplett, vorhanden. Hierzu gehören unter anderem die Frankfurter Zeitung Pflasterstrand (1977-1990), der Informationsdienst zur Verbreitung unterdrückter Nachrichten, der von 1973 bis 1979 wöchentlich erschien und den Versuch einer linken Presseagentur darstellte, die Berliner radikal (1977-1996) oder die anarchistische Graswurzelrevolution. Dokumentiert wird nicht nur die Geschichte der Neuen Linken; es finden sich auch ältere Zeitungen – wie Die Andere Zeitung, die von 1955 bis 1969 erschien – im Bestand, oder die deutschsprachige jüdische Wochenzeitung Aufbau aus New York, die von 1934-1996 vorhanden ist. Aber auch das Neue Deutschland aus der DDR ist ab 1952 archiviert, ebenso rechte Publikation wie Nation Europa (1951-1996) oder die 1994 gegründete Junge Freiheit. 70 bis 80 Zeitschriften sind abonniert und aktualisieren den Bestand fortlaufend.

Der umfangreiche Zeitschriftenbestand – es werden ca. 1500 Titel erfaßt – wird durch die Flugblattsammlung ergänzt. Aus dem Zeitraum der sechziger Jahre bis heute sind es mehrere 10.000 Flugblätter, die vorhanden sind. Hinzu kommt noch der Bestand "Graue Literatur" sowie eine umfangreiche Raubdrucksammlung aus den Jahren 1967-1971. Die Raubdrucke belegen eindrücklich das Bemühen der Neuen Linken, Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre – so des Sexualforschers Wilhelm Reich oder die Schriften des Frankfurter Instituts für Sozialforschung – sich selber anzueignen und einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen.

Durch Sachspenden, Schenkungen oder Ankauf konnte das Archiv des Hamburger Institut für Sozialforschung eine Reihe von Organisationsunterlagen beschaffen. Diese Akten haben ihren besonderen Wert dadurch, daß sich Unikate und interne Diskussionspapiere in ihnen finden und so Einblicke über die internen Diskussionsprozesse und Entscheidungsmechanismen von kollektiven Akteuren gewonnen werden können. Dazu gehören zum Beispiel Unterlagen des Sozialistischen Büros/ Offenbach und des Hamburger Regionalbüros des SB, seit 1969 eine wichtige Gruppe der Neuen Linken, die einen Schnittpunkt zwischen linken SPD-Angehörigen, Gewerkschaftern, Linkssozialisten und Spontis bildete. Im Bestand des übernommenen AnArchivs finden sich Quellen zum Regionalausschuß Nord der Ostermarschbewegung in den sechziger Jahren sowie über linkssozialistische Initiativen, ebenso im Nachlaßsplitter von Fritz Lamm, der in den fünfziger und sechziger Jahren linkssozialistische Politik betrieb.

Der Bestand des Sozialistischen Anwaltskollektivs Berlin, bestehend aus den Rechtsanwälten Horst Mahler, Klaus Eschen und Christian Ströbele, gibt einen Einblick über die Wirkung und Führung von politischen Prozessen von 1967-1977. Bearbeitet wird im Moment noch der Bestand "Rote Armee Fraktion – 1. Generation", in dem sich ein Großteil der Prozeßunterlagen aus den siebziger Jahren findet.

Gut dokumentiert ist auch die Studentenbewegung. Teile des SDS-Archivs Hamburg befinden sich ebenso im Bestand wie eine Reihe von privaten Sammlungen von Akteuren aus Frankfurt, Hamburg, Berlin und Freiburg. In den privaten Sammlungen finden sich neben Flugblätter und Diskussionspapiere teilweise auch Korrespondenzen und Arbeitsmaterialien, wodurch Erkenntnisse über die Arbeitsweise und Motivation einzelner Akteure gewonnen werden können. Neben den Sammlungen zur Studentenbewegung findet sich auch ein Teil des Nachlasses von Rudi Dutschke im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschungen.

Das Spektrum der Nachlässe umfaßt auch die Schwulenbewegung, zu der die Nachlässe von Andreas Salmen und Volker Bruns vielfältiges Material bieten. Ebenso ist das Archiv des neutralistischen "Bund der Deutschen", der in den fünfziger Jahren unter Leitung des ehemaligen Reichskanzlers Joseph Wirths für eine Wiedervereinigung eintrat, im Mittelweg 36 gelagert.

Hinzuweisen ist noch auf den Nachlaß des Hamburger Künstlers und Schriftstellers Arie Goral-Sternheim (27), der sich im Besitz des Archivs befindet und in einem laufenden Projekt umfassend erschlossen wird. Arie Goral-Sternheim konzeptionierte 1994 die Ausstellung "Plakate, Pamphlete, Flugblätter – Hinterlassene Signaturen der Linken" im Hamburger Institut für Sozialforschung. Seine umfangreiche Sammlung von ca. 4500 politischen Plakaten aus der Zeit von 1950-1980 wurde ins Archiv übernommen, zusammen mit anderen Sammlungen und eingehenden Plakaten umfaßt der Plakatbestand ca. 8000 Exemplare.

Beide Archive sind ohne Anträge oder Vorlaufzeiten unkompliziert nutzbar und bieten Arbeitsplätze in ihren Räumlichkeiten. Da Materialien nicht entliehen werden können, besteht die Möglichkeit zum Kopieren. Für Forschungsarbeiten, Referate oder Hausarbeiten bieten sie eine Fülle von Material, wie dieser Überblick belegt. Diese Möglichkeit wird aber, zumeist durch Unkenntnis, noch viel zu selten genutzt.

Adressen:

Archiv der Sozialen Bewegungen Hamburg: Geöffnet am Montag und Donnerstag jeweils von 16-19 Uhr. Schulterblatt 71, 20357 Hamburg. Telefon: 040/ 43 30 07; Fax: 040/ 43 25 47 54

Archiv im Hamburger Institut für Sozialforschung: Geöffnet am Dienstag und Donnerstag von 9-13 Uhr und nach Vereinbarung. Mittelweg 36, 20148 Hamburg. Telefon: 040/ 41 97 31; Fax: 040/ 41 97 11. Internet: http://www.his-online.de

Kontakt zum Verfasser über asb@mail.nadir.org oder postalisch: Knud Andresen, Oelkersalle 16, 22769 Hamburg

Wir danken dem Verfasser für die Überlassung des Textes zur Veröffentlichung auf diesen Internet-Seiten.

 

1) Daß dies auch im begrenzten Maße für die DDR gilt, belegt der Essay von Joachim Gauck: Vom schwierigen Umgang mit der Wahrheit. In: Stéphane Courtois (Hg.): Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München/ Zürich 1998, S. 885-894, bes. S. 889-891. Gauck beschreibt seine eigene politische Orientierung unter Einfluß von westdeutschen Freunden in den 70er Jahren auf Fragen zur Dritten Welt und einer kritischen Akzeptanz der DDR. Aus heutiger Sicht sieht er dies als Mangel.

2) Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.): 1968 – vom Ereignis zum Gegenstand der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1998 (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 17), S. 10. Der Sammelband enthält Studien zu den situativen Faktoren des Protestes in verschiedenen Ländern, Programmatik und Praxis sowie den symbolischen Wirkungen.

3) Es ist notwendig, diese beiden Phänomene trotz vielfältiger personeller und theoretischer Verschränkungen begrifflich voneinander abzusetzen. Die Neue Linke umfaßt die sich explizit auf marxistische und sozialistische Ideenwelten beziehenden Gruppen, die sich in der Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie und dem Kommunismus sehen. Neue soziale Bewegungen umfaßt dagegen die Gruppen, die – oft an einzelnen Großprojekten oder spezifischen gesellschaftlichen Feldern orientiert – eine Kritik an der Industriegesellschaft oder einzelnen sozialen Phänomenen formulieren. Demgegenüber stehen die "alten" sozialen Bewegungen – für die fünfziger Jahre z.B. die Anti-Atom-Tod-Bewegung – weniger für eine umfassende Veränderung des Lebensstils.

4) So Martin Broszat: Einleitung. In: Ders. (Hg.): Zäsuren nach 1945: Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990, S. 9-10, S. 10

5) Dorothea Hauser, 1965 geboren, findet ein Motiv für ihre biographische Arbeit über Andreas Baader und Horst Herold in ihrer Position als Nachgeborene. Dorothea Hauser: Baader und Herold. Beschreibung eines Kampfes, Frankfurt am Main 1998 (Erstausgabe Berlin 1997), S. 15

6) Heinz Bude: Das Altern einer Generation. Die Jahrgänge 1939 bis 1945, Frankfurt am Main 1995, S. 19. Der Soziologe Bude bearbeitet in diesem Band mehrere Interviews, die er mit ehemaligen APO-Angehörigen führte. Christian Semler, ehemals Vorsitzender der Berliner KPD/AO, vermutet den Wandel zum reformorientierten Liberalismus auch für die Angehörigen der maoistischen K-Gruppen der 70er Jahre. Christian Semler: Wiedergänger. In: die tageszeitung, 26.8.1998

7) So z.B. Hermann Rudolph: Mehr als Stagnation und Revolte. Zur politischen Kultur der sechziger Jahre. In: Martin Broszat (Hg.): Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990, S. 141-151, S. 150

8) Horst Mahler: Das Erbe der Achtundsechziger, Junge Freiheit, 17. April 1998. Die treffende Replik schrieb Gerhard Henschel: "Für Gott und Elternland" – Horst Mahler ist verrückt geworden, Junge Welt, 22. April 1998

9) Als neuere Erscheinungen sind zu nennen: Gretchen Dutschke: Rudi Dutschke. Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben, München 1998 (Erstausgabe Köln 1996). Die Erinnerungen von zwei Angehörigen der Bewegung 2. Juni: Till Meyer: Staatsfeind. Erinnerungen, München 1998, (Erstausgabe Hamburg 1996); Inge Viett: Nie war ich furchtloser wie heute, Hamburg 1997. Dieter Kunzelmann: Leisten Sie keinen Widerstand!. Bilder aus meinem Leben, Berlin 1998. Auch die Autobiographie des Sängers und Musikers Rio Reiser gibt Einblicke in die Neue Linke der 70er Jahre: Rio Reiser: König von Deutschland, Köln 1997. Gewissermaßen von der "Gegenseite" die Autobiographie des ehemaligen Berliner Polizeipräsidenten: Klaus Hübner: Einsatz. Erinnerungen des Berliner Polizeipräsidenten 1969-1987, Berlin 1997

10) Oskar Negt: Achtundsechzig. Politische Intellektuelle und die Macht, Frankfurt 1998 (Erstausgabe Göttingen 1995)

11) So die ältere Publikation von Jürgen Miermeister und Jochen Staadt: Provokationen. Die Studenten- und Jugendrevolte in ihren Flugblättern 1965-1971, Darmstadt/Neuwied 1980. Aus sympathisierender Sicht: Lutz Schulenburg (Hg.): Das Leben verändern, die Welt verändern! 1968, Dokumentation und Bericht, Hamburg 1998. Zur Geschichte des militanten Kampfes vgl. ID-Archiv (Hg.): Die Früchte des Zorns. Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora, Berlin 1993, 2 Bände. Zum Einfluß der Frankfurter Schule auf die Neue Linke: Wolfgang Kraushaar (Hg.): Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotovcocktail, 1946 bis 1995, Hamburg 1998. Band 1: Chronik; Band 2: Dokumente; Band 3: Aufsätze und Register. Instruktiv und vielfältig ist auch der Ausstellungskatalog "Protest! Literatur um 1968" des Literaturarchivs Marbach am Neckar, Marbach 1998; Um sich ein Bild zu machen der Fotoband: Michael Ruetz (Hg.): 1968. Ein Zeitalter wird besichtigt, Frankfurt am Main 1997.

12) So Gerd Langguth: Protestbewegung: Entwicklung, Niedergang und Renaissance, Köln 1983; Für die 60er Jahre: Tilman Fichter/ Siegward Lönnendonker: Kleine Geschichte des SDS, 1977. Die beiden Autoren haben ihr Werk 1998 noch einmal überarbeitet: Tilman Fichter/ Siegward Lönnendonker: Macht und Ohnmacht der Studenten. Kleine Geschichte des SDS, Hamburg 1998. Einen neueren Versuch haben amerikanische Politikwissenschaftler vorgelegt, allerdings stark von den Grünen her gedacht: Andrei S. Markovits/ Philip S. Gorski: Grün schlägt Rot. Die deutsche Linke nach 1945, Hamburg 1997. Für die Geschichte der Autonomen in den 80er Jahren: Geronimo (Pseudonym): Feuer und Flamme. Zur Geschichte und Gegenwart der Autonomen, Amsterdam 1990

13) Andrea Ludwig: Neue oder deutsche Linke? Nation und Nationalismus im Denken von Linken und Grünen, Opladen 1995. Ingo Juchler: Die Studentenbewegungen in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger Jahren. Eine Untersuchung hinsichtlich ihrer Beeinflussung durch Befreiungsbewgungen und –theorien aus der Dritten Welt, Berlin 1996. Tobias Wunschik: Baader-Meinhofs Kinder. Die zweite Generation, Opladen 1997. Als neuere skurrile Erscheinung, die primär auf die ironische Denunziation der linken Geschichte und ihres Wandels zielt: Christian Schmidt: Wir sind die Wahnsinnigen. Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang, München/Düsseldorf 1998

14) Petra Heine/ Jürgen Bacia: Plädoyer für die Bewahrung der Geschichte von untern. In: Der Archivar, Jg. 50, 1997, Heft 2, S. 299-310, hier S. 302

15) Heine/Bacia, Plädoyer, S. 299

16) Vgl. Kommentierte Übersicht über die Bestände des Staatsarchivs der Freien und Hansestadt Hamburg. Hg. von Paul Flamme, Peter Gabrielssohn und Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, Hamburg 21999

17) Der englische Historiker Richard Evans hat mit der Auswertung von Spitzelprotokollen der politischen Polizei des Kaiserreichs eindrucksvoll den Quellenwert dieser Archivmaterialien belegt. Richard Evans: Kneipengespräche im Kaiserreich: Die Stimmungsberichte der Hamburger Politischen Polizei 1892-1914, Reinbek bei Hamburg 1989. Rainer Hering hat mit Hilfe der Berichte der politischen Polizei die Rezeption des Bismarck-Denkmals am Hafen in der Arbeiterschaft untersuchen können: Rainer Hering: Kutscher und Kanzler – Der Bau des Hamburger Bismarck-Denkmals im Spiegel der Vigilanz-Berichte der Politischen Polizei. In: Hamburgisches Geschichts- und Heimatblätter, Band 13, Heft 2, 1993, S. 38-48

18) Hamburgisches Archivgesetz, § 5, Abs. 3

19) So der Bezeichnungsvorschlag von Bacia/Heine.

20) Erreichbar auch über das Internet: http://www.iisg.nl/

21) Vgl. die knappe Selbstdarstellung: Archiv Soziale Bewegungen Baden. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Nr. 4/1992, S. 110

22) Vgl. Heinze/Bacia, Plädoyer, S. 306-310

23) Archiv im Frauenbildungszentrum Denk(t)räume, Grindelallee 43; ArchivAktiv, Schanzenstern 1

24) Vgl. "Reih‘ Dich ein in die Arbeitereinheitsfront", taz hamburg vom 24.10.1998

25) Wolfgang Kraushaar: Die Protest-Chronik 1949-1959. Eine illustrierte Geschichte von Bewegung, Widerstand und Utopien, Bd. I-IV, Hamburg 1996

26) Karl Ludwig Baader: Warum Rudi Dutschke die DDR nicht anerkennen wollte, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 7.8.1991

27) Vgl. die Textsammlung: Arie Goral: An der Grenzscheide. Kein Weg als Jude und Deutscher, Münster/ Hamburg 1994

top | zurück | home | contact: webmaster